Schüler:innen des Deutsch Grundkurses 12/3 waren mit Frau Zerbe im Deutschen Theater Berlin in der Inszenierung “Woyzeck Interrupted”
Woyzeck Interrupted – Hit or Miss?
Theaterkritik von Maria Werwein
Sicher seid ihr im Laufe eurer Schulbahn schon mindestens einmal über den Namen „Woyzeck“ gestolpert. Nun gibt es etliche Inszenierungen dieses 1836 entstandenen Dramas in verschiedenen Theatern wie Basel, Kassel oder auch München, die sich Georg Büchners „Woyzeck“ annehmen. Gerade für Schüler:innen und Jugendliche bietet es sich also an, zu solch einer Inszenierung zu gehen. Doch welche kann überzeugen und ist den Besuch wert?
Am 15. Oktober 2023 besuchte ich „Woyzeck Interrupted“, eine im Deutschen Theater Berlinaufgeführte Inszenierung des bekannten Dramas. Inwiefern es mich in den Aspekten visuelle Inszenierung und Darstellung der Thematik überzeugen konnte, und ob es für mich ein Hit oder Miss war, wird im Folgenden beschrieben.
3 TAGE SPÄTER…
„3 Tage später…“, so beginnt als auch endet das von Amir Reza Koohestani und Mahin Sadriins Leben gerufene Stück. „Woyzeck Interrupted“ beinhaltet im Vergleich zur Vorlage nur zwei Schauspieler: Lorena Handschin als „Marie“ und Enno Trebs als „Woyzeck“. Dies spielt jedoch eine besondere Rolle, da die Thematik des Stückes hauptsächlich auf der Gewalt gegen Frauen und noch schlimmer auf Femiziden, also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts liegt.
Dies wird vor allem auf der partnerschaftlichen Ebene thematisiert, indem sich auf eine erschreckende Statistik bezogen wird, die besagt, dass Gewalt gegen Frauen meist in Partnerschaften stattfinde und dass alleine in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet werde. Der Grund hierfür: Sie wurde als Frau geboren. Gleich zu Beginn wird man mit der Zeitangabe „3 Tage später…“ ins Stück eingeleitet, dessen Hintergrund nun ersichtlicher wird. Schließlich deutet es auf die eben benannte Statistik hin und lässt den Zuschauer befürchten, dass auch Marie in Gefahr schwebt, ein Teil von ihr zu werden.
Dies wird zusätzlich durch die von Dirk Salchow erschaffene visuelle Inszenierung verstärkt. Hierbei wurden in den Zwischenpausen der Szenen Zeitungsberichte über einzelne Frauenmorde sowie deren Gerichtsprozesse eingeblendet. Dies geschah mit neutraler weißer Schrift auf einer völlig schwarzen Leinwand, die den ganzen Theatersaal einzunehmen schien. Gerade bei TrueCrime-Fans sollte dies also besonderes Interesse wecken.
Mit dieser visuellen Inszenierung soll also ein Muster aufgezeigt werden, dass Femizide auch eine Sache der Realität und nicht nur der Bühne sind. Doch genau hier versucht die Inszenierung einen Schlussstrich zu ziehen. Die Theaterproduktion wird unterbrochen, wie auch der Begriff “Interrupted” im Titel bereits andeutet. Nicht nur in realer zeitlicher Hinsicht, sondern auch in den Ebenen des Bühnenbildes, welches sich zum Schluss in drei Handlungen aufspaltet. Diese verdeutlichen den gleichen Sachverhalt, wie Marie die Wohnung als auch Woyzeck endgültig verlässt. In einer der Realitäten jedoch wurde sie von Woyzeck brutal vom Dach gestoßen und verlor tragischerweise ihr Leben.
Auf diese Weise wird tatsächlich sehr ausgeklügelt einer der 3 Tage symbolisiert, an dem eine Frau sterben muss, indem sie von ihrem Partner getötet wird. Mit dieser Art von Inszenierung deutet Mahin Sadri auf die politische Unterrepräsentation der Gewaltakte gegenüber Frauen hin. Sie hofft, ein Bewusstsein für das Thema Femizide zu schaffen, um diese in Zukunft mehr in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen und Maßnahmen zur Prävention, Aufklärung und verstärkten Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu fördern.
Ist “Woyzeck Interrupted” meiner Meinung nach also ein “Hit oder Miss”?
Unmittelbar nach dem Verlassen der Vorstellung schwirrten mir zunächst viele Fragen durchden Kopf. Wieso wählte man nur zwei Schauspieler, obwohl es im Originalstück nach Büchner doch insgesamt sieben Figuren gab? Warum hieß es ständig “3 Tage später…”, wenn doch die Handlung weiterhin linear fortlief? Und weshalb lag überhaupt so ein großer Fokus auf den Femiziden?
Doch genau diese offen gelassenen Fragen erzeugen den Impuls, das Gesehene im Nachhinein zu reflektieren und sich über das Stück hinaus tiefer mit drängenden gesellschaftlichen Problemen wie Gewalt gegen Frauen zu befassen.
Sich auf zwei Schauspieler zu beschränken, die entschieden gewählte Zeitangabe “3 Tage später…” als auch der Fokus auf den Femiziden waren bewusste Entscheidungen, wodurch das Stück mich nicht nur künstlerisch begeistern, sondern auch mit seiner Offenheit für Interpretation und fesselnden visuellen Theaterinszenierung absolut überzeugten konnte. Ich würde “Woyzeck Interrupted” also eindeutig als “Hit”bezeichnen und das Stück allen empfehlen, die sich auf ein tiefgreifendes und mitnehmendes Theatererlebnis mit TrueCrime-Faktor einlassen möchten.
Bühnenfoto: Arno Declair