Cornelia Funkes Erfolgsroman vom 26. – 29. Januar 2019 auf der Hermannswerderaner Bühne: Im Mittelpunkt von „Reckless“ („leichtsinnig“) stehen zwei Brüder ohne Vater, mit einer Mutter, die nachts Schlaftabletten nimmt, warum auch immer. Der eine heißt Jacob, der andere Will. Beiden gelingt der Sprung durch den geheimnisvollen Spiegel in die Märchenwelt, wo es nur so von roten, grünen und dunklen Feen wimmelt, wo man ganz schnell steinernes Fleisch bekommt, wenn man auf die falschen Freunde trifft, wo es Kriege und jede Menge Tote gibt, aber auch ganz viel Liebe und Eifersucht.
Vor und vor allem hinter diesem ominösen Spiegel geht es um Macht und Ohnmacht, um Leben und Tod und um Liebe und Hass. Ohne „Schneewittchen“, ohne „Dornröschen“ und ohne Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ wäre „Reckless“ vermutlich nicht verstehbar gewesen. Das ist Märchen-Kitsch und Klischee in Potenz. Aber die Leute mögen das offensichtlich. Anders sind die Bestseller-Wellen nicht zu erklären, auf denen diese Funke’schen Märchen-Bücher seit Jahren schwimmen, allen Unkenrufen renommierter Feuilletons zum Trotz. Spielbar dagegen ist „Reckless“ schon, denn auf Hermannswerder, das sei an dieser Stelle ohne jegliche Ironie angemerkt, versteht man sich aufs Zaubern, Träumen und aufs ernsthafte, höchst kreative Theaterspiel. Alle Jahre wieder, im Theaterprojekt der 8. Klassen. Das hat diese Schule vor allem Ulrike Rüss zu verdanken, die es als Theaterpädagogin hervorragend versteht, sich auf Augenhöhe mit Kindern zu begeben, sie ernst nimmt und sie zu fordern und zu fördern versteht, sekundiert von der Theaterpädagogin Katja Tront und der DS-Lehrerin Kristin Kolbe.
Herausgekommen ist ein märchenhaftes Kunstwerk voller Poesie, zu sehen und spüren in allen Gesten, in jeder Maske (!!!), in jedem Bild (VA: Verena Lakotta und Jakob Simon), sei es ein anmutiger Pavillon, eine sprudelnde Quelle oder ein Laufsteg quer durch die ehrwürdige Aula, auf dem anmutig getanzt und brutal gekämpft wird. Die Bühnenbilder (einschließlich Video-Projektionen) geraten allesamt zum Hingucker, die Musikeinspielungen (vor allem die „liven“) zum Hinhörer (VA: Andy Schulte und Jan Lehmann), die Kostüme zur nostalgischen Augenweide. Das ist nahezu unglaublich, was da binnen eines halben Jahres entworfen und geschneidert, geschmückt und frisiert worden ist (von der gesamten Kostümgruppe unter Leitung von Katie Schasse, Mechthild Althausen und Frau Bestian). Was besonders beeindruckte: Das selbstbewusste und ernsthafte Spiel der Protagonisten, knapp 80 an der Zahl. Alle, aber auch wirklich alle Achtklässler, standen hinter dem, was sie taten, sprachen, spielten, tanzten, sangen, musizierten, auf- und abbauten, soufflierten oder genäht hatten. Das ging unter die Gänsehaut.
Text und Fotos: Andreas Flämig